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Nils Wogram 14.02.2011

Es lebe der unangepasste Swing

 

In der Tradition stehen, aber gleichzeitig modern klingen. Wurzeln annehmen, aber nicht einfach altes Material nacherzählen. Die Musik von Nils Wogram's Nostalgia ist vielschichtig. Und der Name täuscht.

Obwohl der Blechbläser Be- und Hardbop wie Souljazz aus früheren Zeiten verarbeitet, geht es im wohl ersten Orgel-Posaune-Drums-Trio der Jazz-Historie keinesfalls nostalgisch-sehnsüchtig zu. Im Gegenteil: Munter groovt Albert Mangelsdorffs würdiger Erbe mit Florian Ross an der Hammond B3 und Dejan Terzic an den Fellen - wie jetzt auch beim Auftritt im Café Hahn.

Der Jazzklub hat eingeladen. Gegen die Publikumsmagneten Nergaard und Co. kann Wogram nicht ankommen. Trotzdem: Die Tonkunst des Jazz-Visionärs und verklärten Romantikers ist außergewöhnlich, nicht nur wegen der Besetzung. Wograms Posaunenlinien fließen elegant-lässig dahin. Ohne pathetisches Vibrato und vor allem kräftig swingend über den langgezogenen Akkorden von Ross improvisiert der gebürtige Braunschweiger, unterstützt von Terzics mal sachtem, mal energischem Schlagwerk.

Der umhüllende Hammondorgelklang des Kölners wirkt zunächst etwas einlullend, doch der leider mit diesem Gülser Auftritt aus dem Trio ausscheidende Fingervirtuose besitzt eine Abstraktionskraft eines ganzen Orchesters. Er kann meilenweit aus einem Bandkontext ausscheren, achtet jedoch stets darauf, dass das Fundament erhalten bleibt.

Die Titel, Eigenkompositionen von Wogram und Ross, sind eine einzigartige Mischung. Das mit Absicht aus dem Sakralen kommende "Hope" besitzt die Anmutung einer Bach'schen Choralpartita. In "Bus" swingt es wie zu besten Jimmy-Smith-Zeiten. Nur dass trotz Tastendrückernostalgie à la Ingfried Hoffmann (im Doldinger-Quartett) hier das Free-Jazz-Element wie selbstverständlich dazugehört. Der 38-jährige Posaunist hat sich im Durchgangsbereich zwischen "hochgelobter Newcomer" und "verklärte Legende" seine Neugier und Offenheit bewahrt. Mit seiner Band Root 70 führt er eine der erfolgreichsten Jazz-Formationen Deutschlands, die immer wieder für avantgardistische Ergebnisse sorgt.

Mit dem Trio Nostalgia folgen nach ruhigen, fast schon psychedelischen Motiven wie in "Blury Moments" halsbrecherische Unisono-Passagen sowie vertrackte Rhythmen, aberwitzige Tempowechsel - mit ohrwurmartigen Melodien dazwischen. Ganz Hans Dampf in allen Gassen tritt die Dreierbande in "Jack of all trades" gehörig aufs Gas. In "Rondo Nr. 7" geht es schräg zu wie in einer sehr experimentierfreudigen Mardi-Gras-Kapelle. Bei aller kompositorischer Dominanz und Improvisationsgabe von Wogram und Ross, der Dritte im Bunde weiß sich ebenfalls in Szene zu setzen. Der Nürnberger mit Balkanwurzeln hält stoisch und stupende den Takt, gibt den Beat-Derwisch ohne Powerplay-Attitüde und hat das Händchen für sensibles Glockenspiel.

Die allerstärksten Momente des mit viel Beifall bedachten Klubauftritts entstehen im extremen Slowmotion-Schlussspurt, wenn die Instrumente immer mehr auf dem Rückzug sind. Nur noch das Hauchen aus dem Schalltrichter, nur noch eine Andeutung der Hammond und das handgetupfte Trommeln ist hörbar, immer leiser, selbst im hinteren "Hahn" klirrt nichts mehr. "Affinity": Ja, die drei fröhlichen Nostalgiker sind Wahlverwandte, die jederzeit mit eher unerwarteten Details und Pointen aufwarten. Es lebe der unangepasste Swing, der kontrolliert-irrwitzige Ausbruch des sperrigen Horns und die freien Ausflüge im Bewusstsein kollektiven Zusammenspiels.

 

Von unserem Mitarbeiter Michael Schaust

Rhein-Zeitung Koblenz, 17.02.2011

 

 

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