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Nils Petter Molvær

18. Mai 2012

Molværs experimentelle Tonkunst

Avantgardistische Dreierbande mit neuer Platte im Café Hahn

Nils Petter Molvær ist in seinem Sound von skandinavischer Naturpoesie, elektronischem Kalkül und Trompetern wie Miles Davis und Jon Hassell geprägt. Und er sitzt gern zwischen allen musikalischen Stühlen. Nach den zum Teil wüsten Noise-Attacken der vergangenen Jahre setzt der norwegische Trompeter mit seinem neuen Trio weiter auf experimentelle Tonkunst. Statt DJs, übermächtiger lauter Beats sowie Loops herrschen nun mystisch-kontemplative Klänge vor mit zwischendurch gewaltigen Gewittern, vor allem organisch erzeugt. Innovative Kostproben dieser avantgardistischen Dreierbande gab es jetzt dank Jazzclub und Café Hahn im Gülser Klub zu genießen.

Ihr Programm ist von „Baboon Moon“ geprägt. Der Titel ihrer Platte lässt der Fantasie des Zuhörers bewusst freien Lauf. Mit dieser Art zu interagieren befreit sich der 51-jährige Skandinavier von der Dominanz der Hintergrundbastelei, die sein Werk lange bestimmte. Bahnbrechend damals, aber jetzt ist Zeit für eine Auffrischung. Die frühere Freude am Zusammenspiel, an der Improvisation im Rock-Jazz-Geiste, ist wieder da – aber immer noch mit dem Biss, auf neuen Pfaden zu wandeln.

Und die Pole reichen, um die Spannung am Leben zu halten. Da ist Molvær selbst, der mal selbstversunken in seine Trompete bläst, mal an den Reglern eher sparsam dreht und dann sein Instrument vom anderen Ende her spielt. Gitarrist Stian Westerhus weiß einen Saitenzauber zu entwickeln, der gekonnt zwischen Sex-Pistol-Power à la Steve Jones und Raffinesse der Marke Jim Hall hin und her fingern kann. Schlagwerker Erland Dahlen legt einen verbindlichen Klangteppich bereit, der offen und sehr relaxt wirkt.

Im meist abgedunkelten Raum, vor einer Leinwand spielend, passen die projizierten Bilder zu der Musik, die das Ganze unter das Motto Trips und (Alp-)Träume zu stellen vermag. Die Protagonisten erscheinen bizarr, dann beherrschen bunte Farben die Szenerie von blauen, zitternden Linien bis zum grellen Rotlicht, Gesichter werden zu Monsterfratzen und lösen sich wieder auf – alles faszinierend wie bedrohlich.

Wenn Miles Davis auf Syd Barrett trifft, stellen sich die besten Momente ein. Frischer Cool Jazz und düsterer Pink-Floyd-Sound werden mit wenigen eingestreuten Loups zu minimalistischen Perlen. Der Blechbläser reduziert wie weiland der große schwarze Prinz der Trompete. Molvær glänzt mit oft verhangenen Klängen, elektronisch verzerrt, manchmal mit purer Melancholie, um dann mit Schreien und Stakkati aus dem eben noch wabernden Klangfluss zu brechen. Ein Parforceritt von psychedelischem Ambient Brian Eno'scher Klasse bis zur knüppelharten Mischung aus Metal, Rock und Punk. Und mittendrin kommen Töne zum Vorschein, die Störgeräuschen im Radio ähnlich sind. Die Suche nach der richtigen Frequenz ist für die drei Topkünstler kein Problem, zu sehr agieren sie auf derselben Wellenlänge, gerade weil ihr Background sehr verschieden ist.

So ein herausragendes Klangereignis passiert in Koblenz und Umgebung nur selten. Das Publikum weiß um diese Sternstunde nicht angepasster, zukunftweisender wie vorzüglicher Klangarchitektur mit freiem Ausgang und spendet großen Beifall.

Michael Schaust

RZ Koblenz und Region vom Montag, 21. Mai 2012, Seite 17 (0 Views)

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